Vorstellungen historisch determinierter Stadtidentität und exklusive Erinnerungspolitik in der ‚Marinestadt‘ Wilhelmshaven (DE)
Die Vergangenheit Wilhelmshavens – einer Zweckgründung als Marinestützpunkt und jahrzehntelanges Drehkreuz deutscher Seeherrschaftsansprüche – ist präsent in der Struktur des Stadtraumes, seiner baulichen Ausgestaltung, und in der fortgesetzten Rolle als Standort der Marine. Diese Präsenz aufnehmend positionieren Stadtpolitik und Teile der Zivilgesellschaft die Marine und deren Geschichte während der Kaiserzeit als geschichtlichen Wesenskern und zwangsläufige ‚Identität‘ der Stadt, der sich die Stadt nicht verweigern, sondern sie nur annehmen könne. Dies drückt sich in geschichtspolitischen Debatten, erinnerungskulturellen Praktiken und symbolischen Markierungen des Stadtraumes aus: Bronzestatuen von Wilhelm I. und Bismarck wurden neu aufgestellt, ein Smiley mit Pickelhaube diente als Stadtlogo, die Uferpromenade bleibt nach einem NS-Admiral benannt und das Kolonialkriegerdenkmal ohne kritische Einordnung. Die Touristikagentur vermarktet die Stadt über die (virtuelle) ‚Pracht‘ der kaiserzeitlichen Marine, ehemals Koloniales findet sich überformt in Selbstbildern einer Tradition der Weltläufigkeit. Hinter dieser suggerierten Zwangsläufigkeit einer militärisch-männlichen Deutung der Stadt steht eine selektive Erinnerungspolitik, die historische Rolle der Arbeiterbewegung, von Frauen und Arbeitsmigrant*innen ignoriert und historische Belastungen der Stadt durch ein fatalistisches Identitätsverständnis einebnet. Postkoloniale Perspektiven, die das Narrativ von der ‚Pracht‘ der Marine durch den Einbezug der von dieser verübten kolonialen Gewalt brechen würden, sind so unmöglich. Diese Konstruktion von Stadtidentität schließt zudem weite Teile vor allem der migrantischen Stadtbevölkerung aus, stabilisiert die diskursive Dominanz der etablierten, marine-nahen Stadtpolitik und ihrer Träger*innen, und trägt so zur Segregation des sozio-kulturellen Stadtraumes und ungleicher Repräsentation bei. Wilhelmshaven ist so ein Beispiel nicht nur für die erinnerungspolitischen Herausforderungen durch Kaiserzeit, Militarismus und Kolonialismus, sondern auch für die geschichtspolitischen Auswirkungen von als zwangsläufig konstruierten Stadtidentitäten. Mein Beitrag wird dieses Beispiel mit Rückgriff auf Ansätze aus Soziologie und Geschichtswissenschaft analysieren und dabei für die Wichtigkeit eines analytischen Begriffes von Identität(skonstruktionen) für die Erforschung und Kritik lokal(isiert)er Erinnerungspolitiken und ihren sozialen Implikationen auseinandersetzen.