Simone Bogner (Berlin): Architektur als Erbepraxis? Vergangenheitsbezüge in den Debatten der Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM) der Nachkriegszeit
Spätestens gegen Ende der 1960er polemisierten Kritikerinnen gegen die Bezugnahme moderner Architektinnen auf Geschichte oder negierten diese gänzlich. Sie forderten ein neues Verhältnis von Architektur und bestehender Stadt und proklamierten, selbst die Fäden wiederaufzunehmen, welche die Vertreter der »heroischen« Moderne hatten fallen lassen. Das damit einhergehende Postulat von der »Rückkehr zur Geschichte« hat gemeinsam mit den großflächigen Abrissen zugunsten von Modernisierung dazu geführt, dass »die Moderne« pauschal als geschichtsfeindliche Bewegung im Architekturdiskurs festgeschrieben wurde. Demgegenüber steht die Beobachtung, dass gerade Bezüge zur Vergangenheit auf den Nachkriegskongressen der Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM) eine besondere Rolle spielten. Auf dem 8. CIAM 1951 in Hoddesdon und dem letzten Arbeitstreffen 1959 in Otterlo standen sie gar im Zentrum der Debatten. Die Art und Weise, wie Vergangenheitsbezüge konzeptualisiert werden, spielt generell, auch in der funktionalistischen Moderne eine wesentliche Rolle bei der Ausbildung der zeitlichen und räumlichen Referenzrahmen, die als Grundlagen für architektonische Entwürfe dienen. Was wird als Tradition erkannt, was als architektonisches Erbe ausgewiesen und in der eigenen Praxis relevant gemacht? Wie werden diese Bezüge in die Gegenwart transformiert und wie wird der eigene Standpunkt reflektiert? Der Rekurs auf die Architekturgeschichte, lokale oder regionale Traditionsbezüge, der Import lokaler Traditionen an andere Orte, die Extraktion universeller Formen aus zeiträumlich spezifischen Phänomenen sind Verfahren, die meist mit Identitätskonstruktionen – von Menschen, Orten und Gebäuden – einhergehen. Anhand ausgewählter Beispiele sollendiese Überlegungen modellhaft nachgezeichnet werden.