Rachel Győrffy (Budapest): Zwischen Ikonoklasmus und Nostalgie: Rekonstruktivismus in Mittel- und Osteuropa. Kuratorische Praxis, Cancel Culture oder Musealisierung? Eine Annäherung
Die oft zitierte und debattierte, widersprüchliche, jedoch fast persistente Ablehnung von spätmodernistischem Bauerbe ist ein skurriles Phänomen. Sie ist im ehemaligen Westeuropa ebenso erfahrbar wie in den Staaten des damaligen Ostblocks. Die Reaktionen der Gesellschaft gleichen einander oftmals in dem Unverständnis für und der Zurückweisung der Architektur. Die Gründe dieser Zurückweisung könnten nicht mannigfaltiger sein. In erster Linie werden diese Bauten oft als hässlich empfunden, was eine Kategorie der Ästhetik ist, jedoch auch auf unangenehme, unerfreuliche oder misslich verstandene Architektur hinweisen kann.
Dieses Urteil lässt sich als psychologische Projektion verstehen, als eine Art Abwehrmechanismus, der unerwünschte und schwierige Gefühle oder Eigenschaften unterbewusst auf andere Menschen oder Objekte und damit auch auf die Architektur projiziert. Die eigene, aufgearbeitete, problematische, teils sogar traumatische Erfahrung mit dieser Vergangenheit lagert sich auf das visuelle wie auch kulturelle Verständnis dieser Gebäude ab. Doch die Missbilligung dieser Architekturen lässt sich nicht allein aus den Traumata im kollektiven Gedächtnis erklären. Das Zurücksehnen in eine idealisierte Vergangenheit, mit deren Kulissen die heutigen Gesellschaften einen Umgang finden müssen, diese verklärende, restaurative Nostalgie (Boym 2001) oder das Geschichtsdesign (Huse 1997), welches sich als Rekonstruktivismus manifestiert, wird von den Tendenzen im späten Kapitalismus und durch die nicht nachhaltige Entwicklung neoliberaler Ökonomien hervorgerufene Beunruhigung verstärkt.
Während spätmodernes Bauerbe in Mittel- und Osteuropa oft räumlich marginalisiert und dadurch auch an die gedankliche Peripherie der Gesellschaft gedrängt wird – sodass ein Abriss als das Verschaffen von Erleichterung ohne jegliche Kontroverse verstanden werden kann –, könnte die Verdrängung und Entfernung dieses Bauerbes aus dem Gewebe der Stadt eine Form der Selbst-Zensur gegenwärtiger Gesellschaften darstellen. Anhand von Fallstudien aus Berlin, Budapest und Skopje wird versucht, sich der Tendenz des Rekonstruktivismus anzunähern und der Frage nachzugehen, wie dieser Trend sozio-ökonomisch und vor allem kulturell gedeutet werden kann.