Gülşah Stapel (Berlin): Ist das türkisch oder kann das weg? Städtische Erbekonstruktionen in Berlin
Erbekonstruktionen durch öffentliche Erinnerungen (Gedenken, Denkmale, Museen, Narrative) stehen in der Kritik. Der Europarat drückte mit dem Rahmenübereinkommen über den Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft (Faro-Konvention 2005) eine zeitgeistige Bewegung dieser zunehmenden Kritiken aus. Darin wird eine Rationalität vermittelt, die über die Konvention hinaus eine grundsätzliche Denkweise erscheinen lässt. Kulturerbe wird als gesellschaftliches Kernthema anerkannt und eine möglichst breite Inklusion und Sensibilität für die Vielfalt der Gesellschaft bei der Pflege von kulturellem Erbe gefordert. Diese diskursive Verschiebung der Aufmerksamkeit von objektivierenden Erbekonstruktionen hin zu den Subjekten, also den eigentlichen Erben, gab mir Anlass, diese allgemeine Überzeugung und Forderung nach gleichem Recht auf Erbe für alle in der praktischen Umsetzung zu untersuchen. Ich studierte die größte türkische Stadt außerhalb der Türkei durch die Augen türkeistämmiger Berliner*innen. Ich nahm mich einer vorgestellten Gruppe (Anderson 1983) an, die trotz Staatszugehörigkeit bei öffentlichen Erbekonstruktionen in der Regel außen vor bleibt. Bei der Annäherung an die von mir vorgefundenen Erbephänomene in Berlin, geriet ich jedoch zunehmend an die Grenzen der Definierbarkeit für wen und aus wessen Perspektive meine Forschungsergebnisse gelten sollten. Für mein Forschungsinteresse war dieser, wie ich feststellen musste, instabile Zirkelschluss letztendlich auch überflüssig, da jede meiner neuen Erzählungen von Geschichten Berlins (Berlingeschichteler) Kontingenzen thematisierte, sie zugleich aber auch reduzierte, indem aus ihnen historische Erzählungen mit einem neuen Sinn wurden (Ricoeur 1985).Erbekonstruktionen können auch jenseits ihrer Gültigkeit für bestimmte Gruppen als Vorgang des Vererbens, entlang ihrer Handlungen und in Korrespondenz zur Geschichte, rekonstruiert und dargelegt werden. Damit lassen sich Versionen von vielen Weltverständnissen darlegen und mit objektivierender Geschichte verknüpfen. Im Ergebnis zeige ich eine Forschungsreise auf, die von der Suche nach einem türkeistämmigen Erbe der Stadt hin zu einer anderen Haltung in der professionellen Erbekonstruktion führt, die sich jenseits kultureller Identitätsvorstellungen verhalten müsste, wenn jedem ein Recht auf Erbe eingeräumt werden soll.