Friederike Landau-Donnelly (Nijmegen): Gespenstisches Kulturerbe. Erkundungen widersprüchlicher Bedeutungen einer Ortsgeschichte in Vancouver’s Chinatown
In meinem explorativen Vortrag begebe ich mich auf die Suche nach den gespenstischen Konturen von materiellem und immateriellem Kulturerbe in der Stadt. Ich spüre Geister der Vergangenheit auf, die in und durch urbane Räume und Erinnerungen der Gegenwart spuken. Ich strecke die Hand nach ihnen aus, um ihre Geschichten zu berühren, zu begreifen, zu erfahren. Diese Geschichten sind temporär oder langfristiger in den Stadtraum eingeschrieben. Anhand öffentlich beauftragter „murals“ in Vancouvers Chinatown untersuche ich die räumlichen, zeitlichen und affektiven Dimensionen eines gespenstischen Kulturerbes, das auf dem traditionellen Land der First Nations der Musqueam, Squamish und Tsleil-Waututh liegt. Gespenstisches Erbe besteht aus einem umstrittenen kulturellen Gewebe; aus Körpern, Orten, Gerüchen, Klängen und Gefühlen, in dem lebendig-vibrierende Elemente mit scheinbar unbeweglichen, toten oder abwesenden Dingen verflochten sind.
Ich verknüpfe Begriffe aus der kritischen Museumsforschung (Sternfeld 2018) mit Studien kritischer Erinnerungsforschung (Munteán, Plate, Smelik 2017) und gespenstischen Begriffen von Zeitlichkeit (Derrida 1994, Gordon 2008) und Raum (Wylie 2007) miteinander, um den Begriff eines „gespenstischen Kulturerbes“ zu skizzieren. In diesem Begriff von Erbe finden Kontingenz und Konflikt einen Raum, um sich stets neu und anders zu entfalten. Als Teil meines übergreifenden Vorhabens, öffentlichen Raum als umkämpft zu theoretisieren (Landau 2021), arbeite ich Differenzen heraus, die sich aus verschiedenen Formen des Erinnerns an weiter und kürzer zurückliegende Vergangenheiten ergeben. Zudem betrachte ich Konflikte, die entstehen, wenn manche Stimmen im öffentlichen Raum abwesend sind, während andere Stimmen in der städtischen Kulturpolitik überrepräsentiert sind.
Vancouvers Chinatown dient seit über einem Jahrhundert als symbolisch-materieller Aushandlungsort von Anerkennung, Eigentum, Zugehörigkeit, Rassismus und dem Recht auf Stadt. Mithilfe der Perspektive des „gespenstischen Erbes“ werden nicht geheilte Wunden, die aus wirtschaftlicher und emotionaler Not sowie aus Rassendiskriminierung entstanden, zeitgenössischer, neoliberaler Stadtentwicklungslogik gegenübergestellt. In diesen aktuellen Spannungsfeldern entwickelt der Vortrag einen theoretischen Rahmen mit Gespenstern der Vergangenheit und Gegenwart, um zeitgenössische Formen eines kulturell nachhaltigen und gerechten Erbens zu verhandeln.