Arnold Bartetzky (Leipzig): Zensur von unten? Aktuelle Auseinandersetzungen um unbequeme Denkmäler und umstrittene Kunstwerke
In den letzten Jahren mehren sich auch in den liberalen Gesellschaften des Westens Angriffe auf missliebige Denkmäler im öffentlichen Raum. Zugleich häufen sich Kampagnen gegen die Ausstellung von als anstößig empfundenen Kunstwerken in Museen und Galerien. Beides hat eine Tradition, die wahrscheinlich so weit zurückreicht wie die Geschichte der Kunstproduktion selbst. Der Reflex, Denkmäler zu beseitigen, die nicht den politischen Normen der Gegenwart entsprechen, war in der Vergangenheit vor allem ein Kennzeichen autoritärer Regime. Dies gilt erst recht für Interventionen zur Einschränkung der Kunstfreiheit im Namen von Moral oder Ideologie. In verschiedenen Teilen der Welt wirken solche Mechanismen autoritärer Kontrolle über die visuelle Kultur auch heute fort.
In den Ländern des Westens dagegen wurzeln die Forderungen nach Regulierung von Erinnerungskultur, Kunstproduktion und Ausstellungspraktiken überwiegend in einem sozialen Aktivismus, der sich als eine emanzipatorische Bewegung von unten versteht und besonders in den sozialen Medien des Internets seine Resonanzräume findet. Bei näherer Betrachtung relativiert sich aber der vermeintliche Gegensatz zwischen obrigkeitlichen Regulierungsmaßnahmen und den Kampagnen aktivistischer Initiativen, die sich vorgeblich gegen das Establishment richten.
Der Vortrag verfolgt diese Entwicklungen in einer historischen Perspektive anhand von Fallbeispielen aus verschiedenen Kontinenten. Das besondere Interesse gilt der Frage, ob es sich bei den Auseinandersetzungen in der Gegenwart nur um eine Facette fortwährender gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse um den Umgang mit Kulturerbe und den Status der Kunst handelt oder sich hier neue totalitaristische Denkmuster erkennen lassen, die ein auf Toleranz und Pluralität gründendes Kulturverständnis und damit auch das liberale Gesellschaftsmodell untergraben.