Sonya Schönberger (Berlin): Zeitzeugenarchiv und Scherben der Berliner Trümmerberge
Die Thematiken des Archivierens als Kulturtechnik und des Verlusts von Menschen, Dingen, Orten und Symbolen bearbeite ich als Künstlerin im Rahmen meines Zeitzeugenarchivs. Seit acht Jahren treffe ich mich mit Menschen, die den Zweiten Weltkrieg persönlich erlebt haben und ihre Erinnerungen an diese Zeit mit mir teilen. In dieser langzeitlich angelegten künstlerischen Recherche geht es um den individuellen Bruch hervorgerufen durch gesellschaftliche Umstürze, seine Bedeutung, sowie um die Neuorientierung, die der Zeit des Bruches folgt. Ich begegne den Erzählenden immer aus der Perspektive der Enkelgeneration. Bei der Auswahl meiner mittlerweile über 120 Gesprächspartner*innen habe ich mich nie eingeschränkt, sondern war bemüht, jede erdenkliche Perspektive zu gewinnen. Die Gespräche führte ich in Deutschland, den USA und in Israel. So ist ein Archiv aus Audioaufnahmen entstanden, das mir die Möglichkeit gibt, auf vielfältige Weise künstlerisch mit den Erinnerungen zu arbeiten, wie z.B. mit dem Theaterstück »Rosemarie«, das ich 2014 und 2015 entwickelte und inszenierte. Auf verschiedenen Berliner Trümmerbergen entstand eine weitere künstlerische Arbeit: über 2.000 Fragmente von Haushaltsgegenständen, die mit den Jahren ihren Weg durch die Berge von Schutt und Kriegstrümmern an die sichtbare Oberfläche fanden, wurden gesammelt. Gemeinsam mit einem Experten des Berliner Museums der Dinge fand ich einen Weg, ihrer Provenienz augenscheinlich nahezukommen. Im Rahmen von »Collecting Loss« möchte ich beide Archive und meinen künstlerischen Umgang mit ihnen vorstellen. Sowohl die Fragmente der Trümmerberge als auch die Erzählungen der Zeitzeug*innen sind Zeugnisse von radikaler Subjektivität. Sie gewähren einen je individuellen und gemeinsam facettenreichen Einblick in die damalige Zeit, die Moralvorstellungen und ein Denken, das aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar erscheint. Die künstlerische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit stellt für uns eine Möglichkeit dar, auch die eigene Gegenwart besser zu verstehen und die Dinge zu begreifen, die bis heute Einfluss auf unser eigenes Leben haben.