Wolfgang Ullrich: Sasha Velour – Eine Identifikationsfigur der Identitätsverweigerung
Die US-amerikanische Drag Queen Sasha Velour ist spätestens mit ihrem „Manifesto of Drag“ (2023) zu einer der maßgeblichen Figuren des queeren Diskurses geworden. Sie sieht sich selbst als „community leader“, misst ihren eigenen Erfolg also daran, dass und wie sie mit ihren (Selbst)inszenierungen zu einer Identifikationsfigur für andere wird. Ausdrücklich versteht sie ihre Arbeit aber nicht als Identitätspolitik, d.h. sie will nicht eine laute Stimme speziell für Queere oder andere Minderheiten sein. Vielmehr verfolgt sie mit ihrer künstlerischen Arbeit das Ziel, möglichst unterschiedliche Menschen um sich zu sammeln, die allein darin übereinkommen, sich von geschlechtsspezifischen Topoi, ja von essentialistischen Körperbegriffen befreien zu wollen. In postmoderner Tradition negiert sie also einen starken Begriff von ‚Identität‘, ja sucht nach Strategien, mit denen jegliche feste Identitätszuschreibung unterlaufen und so verweigert wird. Dabei operiert sie häufig mit freien Re-enactments von Ikonografien aus der Kunst- und Kulturgeschichte, nutzt also gerade eigenwillige Interpretationen kulturellen Erbes, um sich von bestimmten Identitäten – oder Identitätszuschreibungen – zu distanzieren. Der Vortrag versucht, Sasha Velours Inszenierungen und deren theoretische Grundlagen gleichermaßen in den Blick zu nehmen und so in einen ideengeschichtlichen Kontext zu stellen, dass sich daraus allgemeinerer Diskussionsstoff für den Identitätsbegriff ergibt.
Wolfgang Ullrich, geb. 1967 in München, lebt als freier Autor und Kulturwissenschaftler in Leipzig, war von 2006 bis 2015 Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. er forscht und publiziert zur Geschichte und Gegenwart des Kunstbegriffs, zu bildsoziologischen Themen sowie zu Konsumtheorie. Seit 2019 gibt er zusammen mit Annekathrin Kohout die Buchreihe „Digitale Bildkulturen“ im Verlag Klaus Wagenbach heraus. Seine jüngsten Bücher: Selfies. Die Rückkehr des öffentlichen Lebens (2019); Feindbild werden. Ein Bericht (2020); Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie (2022); Identifikation und Empowerment. Kunst für den Ernst des Lebens (2024). Mehr unter: www.ideenfreiheit.de.
Bauhaus-Universität Weimar
Marienstraße 13c, Hörsaal D
Beginn: 18.45