Elisaveta Dvorakk: Affekt und Identifikation. Ästhetische und epistemologische Potenziale der Aftermath-Fotografie (GER)
Die Aftermath-Fotografie beschäftigt sich mit den Spuren und Nachwirkungen von Gewalt, ohne das eigentliche Geschehen zu zeigen. Im Vortrag werden die epistemologischen Potenziale dieses fotografischen Genres analysiert, das sich an der Schnittstelle von Ästhetik, Bildkritik und Wissensproduktion bewegt. Ausgangspunkt ist die Frage, wie Aftermath-Fotografien in einer Episteme der Sichtbarkeit agieren, in der Gewalt meist entweder unsichtbar bleibt oder in Form hyperaffektiver und -ästhetisierter Schockbilder medial zirkuliert.
Im Fokus stehen ausgewählte fotografische Serien von Sophie Ristelhueber (1949). Ihre Arbeiten werden hinsichtlich zweier zentraler Kritiklinien betrachtet: der Kritik der Hyperästhetisierung, die der Aftermath-Fotografie eine ästhetisierende Distanz vorwirft, sowie der Kritik der Indexikalität, die die Möglichkeit eines direkten Bezugs zum Bildgegenstand infrage stellt. Es wird untersucht, welche Rolle die Identifikation der Betrachtenden mit dem Bildgeschehen spielt. Während eingebettete Berichterstattung und klassische Kriegsfotografie häufig auf Affekt durch direkte Konfrontation mit Gewalt und eine essentialisierende Identifikation mit dem Sujet abzielen, erzeugt die Aftermath-Ästhetik eine vielschichtige Rezeptionsebene. Sie fordert die Betrachter*innen auf, sich über Spuren und Abwesenheiten mit dem Dargestellten zu identifizieren und ihre eigene Rolle zu reflektieren.
Abschließend wird diskutiert, inwiefern Aftermath-Fotografien nicht nur affektive Reaktionen hervorrufen, sondern auch eine kritische Reflexion über die Darstellbarkeit von Gewaltnachwirkungen ermöglichen und somit als widerständige Bildpolitiken agieren können.
Elisaveta Dvorakk ist Kunst- und Bildhistorikerin und arbeitet als Forschungskoordinatorin am Käte Hamburger Kolleg | Centre for Advanced Study inherit. heritage in transformation an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuvor war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kunstgeschichte Osteuropas am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der HU Berlin tätig. Ihre Dissertation „Annemarie Schwarzenbachs Bildberichte 1937–38. Journalistische Reisefotografie und politische Ästhetiken des Dokumentarischen“ wurde mit dem Rudolf-Arnheim-Preis 2024 des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte der HU Berlin ausgezeichnet. Elisaveta Dvorakks Forschung umfasst die Theorie und Geschichte der Fotografie, postkoloniale, queere und postsäkulare Theorien, mediale Erinnerungspolitiken und (post-)digitales Erbe sowie Modelltheorie und epistemologische Kritik der bildbasierten Wissensproduktion. Zuletzt erschienen ihre Monografie „Die Sammlung Hashem el Madani in der Arab Image Foundation. Postkoloniale Diskurse um kommerzielle Studiofotografie im Libanon, 1950-1980“ (2022) und die Co-Herausgabe „Feministische Visionen vor und nach 1989. Beiträge zu Geschlechter-, Medien- und Aktivismusforschung in der DDR/BRD und Osteuropa“ (2022).
Bauhaus-Universität Weimar
Marienstraße 13c, Hörsaal D
Beginn: 18.45