Obdachlosigkeit, Gewalt und die Rolle des Staates. Die Geschichte einer Räumung (GER)

Eine Serie von Morden und Mordversuchen an obdachlosen Menschen in der Stadt Wien erhielt im Jahr 2023 starke mediale Aufmerksamkeit. Auch in Berlin wird häufig von Angriffen berichtet und die Zahl der Gewalttaten gegen obdach- und wohnungslose Menschen steigt weiter an. Es handelt sich nicht um Einzelfälle. Die Zahlen sind erschreckend, die Berichte über den Hergang der einzelnen Taten erschütternd. Die Tatsache, dass es sich bei den Täter*innen nicht nur um Rechtsradikale, sondern auch um Jugendliche aus der ›Mitte der Gesellschaft‹ handelt, verdeutlicht den strukturellen Charakter des Problems. Historisch gewachsene Ideologien führen zur Gewalt einzelner Personen oder Gruppen gegen obdachlose Menschen und prägen auch den Umgang des Staates und seiner Behörden mit den Betroffenen.

Wie aber ist erklärbar, dass eine so vulnerable Gruppe nicht nur dem direkten Hass und der Gewalt Einzelner ausgesetzt ist, sondern, dass auch staatliche Institutionen, von denen Viele glauben, dass sie Menschen schützen sollten, einen Anteil an Gewalt und Diskriminierung haben? Warum erscheint die schiere Anwesenheit der Körper obdachloser Menschen in öffentlichen Räumen als etwas Störendes, als eine Provokation gegenüber dem Staat und der städtischen Ordnung?

Um mich diesen schwierigen Fragen zu nähern, zeige ich anhand der Recherchen für das Kapitel »Eine Genealogie des Ausschlusses« meiner Dissertation zuerst historische Kontinuitäten der Exklusion und Gewalt auf. Zentrales Element des Vortrags ist ein Fallbeispiel aus Berlin, das den Umgang mit Orten, die zentraler Bezugspunkt der Lebenswelten obdachloser Menschen sind, dokumentiert. Vermittelt durch die Geschichte einer Räumung zeigt sich, dass polizeiliche und ordnungspolitische Maßnahmen obdachlose Menschen immer wieder in Situationen bringen, in denen sie mit einem Verlust von lebensnotwendigen Orten und Objekten konfrontiert sind und in denen die ohnehin schon konstant gefährdete körperliche Unversehrtheit weiter in Gefahr gebracht wird.