Gabi Dolff-Bonekämper: »Maurice Halbwachs’ “mémoire collective”. Ein Denkmodell.«
Der Soziologe Maurice Halbwachs hat in seinen drei Büchern «Les Cadres sociaux de la mémoire» (1925), «La topographie légendaire des évangiles en Terre sainte» (1941) und «Mémoire Collective» (posthum, erster Druck 1950) die Grundlagen für die heutige Erinnerungsforschung geliefert. Der Begriff „mémoire collective“, in Deutsch „Kollektives Gedächtnis“ ist über die letzten 30 Jahre zum Leitwort der Erinnerungsforschung geworden. Aber was steckt hinter dem Begriff? Wie hat ihn Halbwachs entwickelt? Erfasst er die angestrebte oder oktroyierte Einigkeit einer Gruppe über die Bedeutung vergangener Ereignisse, die im kollektiven Gedächtnis aufbewahrt, ihre Stärke ausmachen sollen? Oder passen auch Streitigkeiten um die „richtige“ Erinnerung in das Modell? Worin besteht genau der Unterschied bzw. der Bezug zum älteren Konzept der „Cadres sociaux“, und warum genau stehen sie im Plural? Halbwachs berichtet in der „Topographie légendaire“ über die topographische (Neu)Verortung von Ereignissen des in der Bibel geschilderten Heilsgeschehen durch ortfremde Mitteleuropäer, die, Jahrhunderte nach dem Geschehen, auf Pilgerfahrt oder als Eroberer, ins Heilige Land reisen und es als ihr Territorium begreifen und besetzen wollen. Sollen wir dies als Gleichnis auffassen, oder als Modell?
Wir haben uns das Ziel gesetzt, im Rahmen unseres Graduiertenkollegs eine Kulturerbe-Theorie zu entwickeln, die die Konzepte von Identität und von Erbe in ein Verhältnis von stabiler Instabilität zu setzen erlaubt. Was können wir von Maurice Halbwachs soziologischen Modellen lernen?