Thomas W. Gaehtgens (Berlin): Die Beschießung der Kathedrale von Reims im Ersten Weltkrieg
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges, im September 1914, wurde die Kathedrale von Reims von der Deutschen Armee beschossen und in Brand gesetzt. Das Ereignis löste aufgrund der symbolischen Bedeutung des Bauwerks als Krönungskirche und Nationaldenkmal weltweite Empörung aus. Die Deutschen galten von nun an als Hunnen und Vandalen, die in den Krieg gezogen seien, die französische Kultur zu zerstören.
Der Flut von Propagandaschriften und Postkarten wurde von deutscher Seite mit der Einrichtung des „Kunstschutzes” entgegnet, einer der Armee zugeordneten Abteilung von Denkmalpflegern. In den 1920er Jahren war in Frankreich der Wiederaufbau der Kathedrale heftig umstritten. Viele setzten sich für die Erhaltung der Ruine als das eindrucksvollste Mahnmal für die Aggression des deutschen Nachbarn ein. Die Erinnerung an die Zerstörung der Kathedrale belastete die politischen und kulturellen Beziehungen beider Länder in den folgenden Jahrzehnten schwer. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg vermochten de Gaulle und Adenauer einen Prozess der Versöhnung zwischen den beiden Ländern einzuleiten, den sie mit einer Messe in der Kathedrale von Reims symbolisch zum Ausdruck brachten.
Thomas W. Gaehtgens war von 1980 bis 2007 Professor für Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin. 1992 organisierte er den XXVI. Internationalen Kongreß für Kunstgeschichte in Berlin und nahm von 1992 bis 1996 die Präsidentschaft des Comité International d’Histoire de l’Art (CIHA) wahr. 1995 unterrichtete er als Gastprofessor, von 1998 bis 1999 als Professor des Europäischen Lehrstuhls am Collège de France, Paris. 1997 gründete er in Paris das Deutsche Forum für Kunstgeschichte/Centre allemand d’histoire de l’art, das er bis 2007 leitete. Von 2007 bis 2018 war er Direktor des Getty Research Institutes in Los Angeles, USA. Forschungsschwerpunkte von Prof. Gaehtgens sind die französische Kunst und Architektur des 18. und 19. Jahrhunderts, amerikanische Kunst und die Geschichte des Museums.