RINGVORLESUNGSREIHE „IDENTITÄT UND ERBE“
6. MAI (DONNERSTAG) UM 18.30 UHR, VIDEOKONFERENZ
NORA STERNFELD (HAMBURG): ERRUNGENE ERINNERUNGEN. KONTAKTZONEN UMKÄMPFTER UND GETEILTER GESCHICHTE
Was geschieht, wenn unterschiedliche Erinnerungsnarrative aufeinandertreffen und ausgehandelt werden müssen? Zwei Publikationen der letzten Jahre stehen paradigmatisch für zwei unterschiedliche Formen der Auseinandersetzung mit widersprüchlichen und umkämpften Erinnerungen: Michael Rothbergs Buch „Multidirectional Memory“ (in deutsch soeben erschienen als „Multidirektionale Erinnerung“) und Dan Diners Aufsatz „Gegenläufige Gedächtnisse“. Beschreiben ließen sich die Positionen mit Analogie versus Archäologie – sie verweisen auf die beiden Paradigmen der Singularität und der Globalisierung des Holocaust. Ich schlage eine Alternative zu dieser Alternative zwischen Rothberg und Diner vor und möchte von „errungenen Erinnerungen“ in agonistischen Kontaktzonen sprechen. Diese sind in verschiedener Weise errungen: erstens als Anerkennung, dass Erinnerung ein Ergebnis von Kämpfen ist, dass sie brüchig und umstritten ist und immer wieder in der Gegenwart im Hinblick auf die Zukunft formuliert wird. Zweitens als Anerkennung, dass es möglich ist, unterschiedliche Geschichtsbezüge zu formulieren und miteinander auszuhandeln, während es nicht im selben Maße möglich ist, Fakten auszuhandeln – denn der Zugang dazu, was geschehen ist, ist eben doch kategorial davon zu unterscheiden, was dies für die Gegenwart bedeutet. Drittens meint „errungen“ hier durchaus „gegen die bestehenden Erinnerungskollektive errungen“. In diesem Sinn plädiere ich für eine Geschichtsarbeit in geteilten Erinnerungsorten, die sich gleichermaßen als partizipativ und reflexiv versteht, wie sie sich gegen Antisemitismus, antifaschistisch und antirassistisch positioniert.
Nora Sternfeld ist Kunstvermittlerin und Kuratorin. Sie ist Professorin für Kunstpädagogik an der HFBK Hamburg. Von 2018 bis 2020 war sie documenta Professorin an der Kunsthochschule Kassel. Von 2012 bis 2018 war sie Professorin für Curating and Mediating Art an der Aalto University in Helsinki. Darüber hinaus ist sie Co-Leiterin des /ecm – Masterlehrgangs für Ausstellungstheorie und -praxis an der Universität für angewandte Kunst Wien, im Kernteam von schnittpunkt. ausstellungstheorie & praxis, Mitbegründerin und Teilhaberin von trafo.K, Büro für Bildung, Kunst und kritische Wissensproduktion (Wien) und seit 2011 Teil von freethought, Plattform für Forschung, Bildung und Produktion (London). In diesem Zusammenhang war sie auch eine der künstlerischen Leiter:innen der Bergen Assembly 2016 und ist seit 2020 BAK Fellow, basis voor actuele kunst (Utrecht). Sie publiziert zu zeitgenössischer Kunst, Bildungstheorie, Ausstellungen, Geschichtspolitik und Antirassismus.
ANMELDUNG
Um online an der Vorlesungsreihe teilzunehmen, senden Sie bitte eine Email an: anmeldung@identitaet-und-erbe.org. Sie erhalten dann den Zugangslink zur Videokonferenz (Plattform Zoom), unter dem Sie alle Ringvorlesungen des Sommersemesters verfolgen können. Zudem können im Audio-Archiv des Graduiertenkollegs viele Vorträge der seit 2016 stattfindenden Reihe nachgehört werden. Am Dienstagabend findet der erste Vortrag in diesem Semester statt:
DAS PROGRAMM DER RINGVORLESUNG IM SOMMERSEMESTER 2021
27. April Barbara Schönig (Weimar) Wohn-Wende in Ostdeutschland. Ein Blick auf Transformation als Erbe aus Sicht der Interdisziplinären Wohnungsforschung
6. Mai Nora Sternfeld (Hamburg) Errungene Erinnerungen. Kontaktzonen umkämpfter und geteilter Geschichte
18. Mai Gabu Heindl (Wien) Kritisches Erben und konkrete Utopie. Vom Roten Wien zur Rebel and Care City
25. Mai Jens-Christian Wagner (Jena) 60 Jahre Colonia Dignidad. Ein deutsches Verbrechen in Chile und seine Erinnerung
1. Juni Erica Lehrer (Montreal) Terribly Close. Polish Vernacular Artists Face the Holocaust
8. Juni Ronald Rietveld (Amsterdam) Hardcore Heritage
15. Juni Timothy Ingold (Aberdeen) The World in a basket
22. Juni Stefan Berger (Bochum) Erinnerung an Industrialisierung und Deindustrialisierung im globalen Vergleich – Industriekultur und ihre Erzählungen 6. Juli Oliver Sukrow (Wien) Alternative Spaces of Innovation: Spa Towns as Architectures and Landscapes of Health
13. Juli Arnold Bartetzky (Leipzig) Erbe ohne Erben. Baudenkmäler nach Zwangsmigrationen zwischen Zerstörung, Verdrängung und Aneignung
Ausführliche Informationen zu allen Vorträgen finden Sie unter: https://www.identitaet-und-erbe.org/category/veranstaltungen/semestertermine/
PUBLIKATIONEN
Collecting Loss
Band I der Schriftenreihe des DFG-Graduiertenkollegs „Identität und Erbe“, hrsg. von Simone Bogner, Gabi Dolff-Bonekämper, Hans-Rudolf Meier. Der Band ist im Februar im Bauhaus-Universitätsverlag erschienen. ISBN 978-3-95773-291-0; 168 Seiten; 28,00€
Einblick in das Buch |