DIE KOLLEGIAT*INNEN STELLEN SICH VOR...
#4 MIT AYSEGÜL DINCCAG UND KATHARINA ROTTÉ
Mit diesem Format wollen wir Ihnen die Kollegiat*innen des Graduiertenkollegs näher vorstellen und Ihnen einen Einblick in die entstehenden Arbeiten in unserem interdisziplinären Kolleg geben. Immer im Dialog zwischen den beiden Standorten Berlin und Weimar erzählen zwei unserer Doktorand*innen von ihren Forschungen und den Herausforderungen und Erkenntnissen aus dem Promotionsalltag.
AYSEGÜL DINCCAG (Berlin)
Ich habe Architektur an der UdK Berlin studiert und im Anschluss in diversen internationalen Architekturbüros in Berlin und in Istanbul gearbeitet. 2015 bin ich als selbstständige Architektin Mitglied der Architektenkammer Berlin geworden. 2016 habe ich das Weiterbildungsprogramm ‘Design Thinking’ in D-School HPI Potsdam abgeschlossen. Seitdem haben sich meine Forschungsinteressen um Fragen der Gesellschaft im räumlichen und materiellen Kontext erweitert. Seit 2018 beschäftige ich mich mit der lokalen Architektur im globalen Kontext, fokussiert auf die ehemalige griechische Insel Imbros, heute Gökceada, die zur Türkei gehört. Im Kolleg promoviere ich zu Aneignungsprozessen lokaler Identitäten in der Architektur. In drei Fallbeispielen analysiere ich, wie traditionelle Häuser von Imbros von dritter Generation von Imbrioten modifiziert, transformiert und angeeignet wurden und werden. Wie gehen die Rückkehrenden mit der Vergangenheit um und welche Rolle spielt hierbei die materielle Kultur und die gebaute Umgebung bzw. Architektur? In diesem Zusammenhang frage ich, ob Erbe als kritischer Entwurfsinstrument denkbar wäre?
KATHARINA ROTTÉ (Weimar)
Während meines Studiums in Tübingen, Rom, Florenz und Bonn habe ich meinen vielen Interessen gemäß verschiedene historische Studienfächer belegt, wobei die Kunstgeschichte immer einen Schwerpunkt bildete. Nach meinem Master of Arts in Kunstgeschichte arbeitete ich bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, bevor ich mich entschloss, zu promovieren. Mein Dissertationsprojekt situiert sich im klassischen kunsthistorischen Feld der Antikenrezeption. Hierin befasse ich mich mit dem Bild der antiken römischen Architektur und untersuche die Rolle (meist steinerner) Stofflichkeiten – einen bislang meist vernachlässigten Aspekt.
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INSPIRATION
WAS NIMMST DU AN INSPIRATION AUS DEM ÜBERTHEMA "IDENTITÄT UND ERBE" MIT? WELCHE INTERDISZIPLINÄREN FORSCHUNGSANSÄTZE BEEINFLUSSEN DICH?
AD
Die kritische Auseinandersetzung mit dem Begriffspaar „Identität” und „Erbe” erhält in meinen Augen im 21. Jahrhundert eine ganz neue Bedeutung. Ich selbst musste mich in die mir zunächst unbekannten Identitäts- und Erbestudien einlesen, doch hat diese Beschäftigung meinen wissenschaftlcihen Horizont immens erweitert. Mein Forschungsthema verortet sich an einer Schnittstelle von Archäologie, Anthropologie, Soziologie, Ethnographie und Architektur und ist somit selbst interdisziplinär.
KR
Mein Fach, die Kunstgeschichte, inkludiert zwar typischerweise verschiedene Disziplinen, doch versäumt sie es allzu oft, aktuelle Debatten und Methoden in ihre Forschung einzubeziehen. Dass etwa mein Forschungsgegenstand auch als Erbekonstruktion untersucht werden kann, war mir nicht immer klar. Dabei liegt es auf der Hand: Das Antike Rom ist einer jener kollektiven Erinnerungslandschaften, auf die immer wieder zurückgegriffen und immer wieder neu erfunden wurden und werden. Ich erforsche, wie es dieses 2000 Jahre alte bauliche Erbe bis in unsere Zeit geschafft hat, was von ihm übriggeblieben ist und wie die Erblasser verschiedener Zeiten das Bild der Antike umformten. Auf solche interessanten Gebilde aus Kontinuität und Veränderung verweisen die beiden Oberbegriffe „Identität“ und „Erbe“ unseres Kollegs.
2
AKTUELL UND RELEVANT
WELCHE AKTUELLEN DEBATTEN SPIEGELN SICH IN DEINEM THEMA WIDER?
AD
In meiner Arbeit beschäftige ich mich mit lokaler Architektur im globalen sozio-politischem Kontext, wobei die ortsgebundene Zugehörigkeit nationalen Konstrukten von Identität gegenüber gestellt wird. Ganz aktuell während der Pandemie haben wir erfahren, wie zerbrechlich lokale Strukturen aufgebaut sind und wie weit sozio-ökonomische Strukturen von Staatspolitiken abhängig sind. Meine Recherche stellt diese Beziehung von Lokalem und Globalem, und wie sie sich in Architektur materialisiert, infrage, indem sie auf ein Rand-Fallbespiel fokussiert. Zusätzlich verweist meine Untersuchung auf die Herausforderungen einer human-zentrierten Weltbeziehung in post-humanistischen Zeiten: In meiner Dissertation lege ich das Lokale und Lokalität als eine Assemblage im post-humanistischen Sinne aus, um einen Beitrag zu zeitgenössischen Debatten zu leisten.
KR
Zu meinem Dissertationsthema kam ich ursprünglich über mein Interesse an weißen Stofflichkeiten und ihrer Assoziation mit der antiken Kunst. Dieses Thema stand schon im Zentrum meiner Masterarbeit zu marmorsichtigen Skulpturen und auch in meinem Dissertationsprojekt spielt es eine wichtige Rolle. Seit der Ästhetik der Aufklärung ist die Verbindung von weißen Materialien und der Vorstellung von Antike stark ideologisch aufgeladen. Noch heute wird bisweilen die klassische Ästhetik und ihr Ideal von Weißheit als eine Sprache reaktionärer Nostalgie mobilisiert und bleibt somit Gegenstand gegenwärtiger gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Hinsichtlich wissenschaftlicher Diskurse spiegelt sich in meiner Arbeit der seit Beginn des digitalen Zeitalters andauernde sogenannte „material turn“ wieder, also der Perspektivierung der Geisteswissenschaften auf unsere greifbare Umwelt. Die Debatten dieses turns waren zunächst eher abstrakt und standen somit in Kontrast zum Diskussionsgegenstand. Mein Dissertationsprojekt schöpft aus den Erkenntnissen dieser Debatten, doch führt ihr Weg zu Erörterungen über die Bedeutung von Materialtät über eine Untersuchung der Materialien und ihres Gebrauchs selbst.
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WISSENSCHAFT IN DER KRISE?
WIE GEHST DU MIT EINSCHRÄNKUNGEN INFOLGE DER CORONA-PANDEMIE UM? UND WIE VERÄNDERT SICH DADURCH DEINE FORSCHUNG?
AD
Ich hatte meine ethnographische Feldrecherche zum Großteil im Sommer 2019 fertiggestellt. Zum Glück! Denn meine Arbeit entwickelte sich aus empirischen Erfassungen. Seit März 2020 beschäftige ich mich mit theoretischen Fragestellungen und der Auswertung der gesammelten Daten. Ich schätze es, mir Zeit für im digitalen Raum abgehaltene Vorlesungen, Konferenzen und Seminare nehmen zu können. Obwohl ich Onlineformate für eine fast-demokratische Chance der Zugänglichkeit für alle halte, sehe ich auch die problematischen Seiten der Digitalisierung der Wissenschaft: der kritische und akademische Austausch findet hier nur unter starken Beschränkungen statt.
KR
Im März dieses Jahres war ich für einen Forschungsaufenthalt in Rom, als Italien von der Corona-Pandemie erschüttert wurde. Innerhalb der zweiten Märzwoche wurden nach und nach alle öffentlichen Einrichtungen geschlossen, darauf folgte der harte Lockdown und eine Phase der Ungewissheit, ob diese in absehbarer Zeit wieder öffnen würden. Ich habe meinen Forschungsaufenthalt also abgebrochen und bin zurück nach Deutschland gekehrt. Mittlerweile funktioniert der Bibliotheksbetrieb in Weimar wieder, sodass ich meine Lektürerecherche fortsetzen kann. Bis heute sind die italienischen Archive und Bibliotheken jedoch nur eingeschränkt zugänglich.