DIE KOLLEGIAT*INNEN STELLEN SICH VOR... #3 MIT MARTA TORRES RUIZ UND OLIVER TREPTE
Mit diesem Format wollen wir Ihnen die Kollegiat*innen des Graduiertenkollegs näher vorstellen und Ihnen einen Einblick in die entstehenden Arbeiten in unserem interdisziplinären Kolleg geben. Immer im Dialog zwischen den beiden Standorten Berlin und Weimar erzählen zwei unserer Doktorand*innen von ihren Forschungen und den Herausforderungen und Erkenntnissen aus dem Promotionsalltag.
MARTA TORRES RUIZ (Berlin)
Ich habe Architektur an der TU Berlin studiert und im Anschluss in der Planung an der Schnittstelle zum Städtebau gearbeitet sowie am Institut für Architektur der TU Berlin gelehrt. Meine Promotionsarbeit befasst sich mit dem zusammengesetzten Begriff des Overtourism oder des Übertourismus. Dabei gehe ich unter anderem wissenschaftsgeschichtlich auf die Entstehung, Wandel und Kontinuitäten der interdisziplinären Tourismuskritik zurück, um von da heutige Narrative und konkrete zeitgenössische Konflikte besser zu verstehen. Es gibt unterschiedliche Ansätze der Diskurs- und Konflikttheorie, die mich in diesem Zusammenhang interessieren.
Nach dem Studium der Kunstgeschichte und Filmwissenschaft sowie Geschichte an der FSU Jena habe ich an der Professur für Theorie und Geschichte der modernen Architektur an der BUW gearbeitet. Im Kolleg promoviere ich zur städtebaulichen Entwicklung Weimars von 1909 bis 1945 anhand des dortigen Stadtbaurates August Lehrmann. Mich interessiert besonders die Ambiguität der Architektur der Moderne: Welches städtische Erbe wird rekurriert und wie wird es gesellschaftlich verhandelt? Wie wird die immaterielle Tradition Weimars architektonisch und städtebaulich manifestiert? Und welche Bedeutung haben kulturhistorische Bewegungen wie der Heimatschutz für die Konstruktion der städtischen Identität?
INSPIRATION
WAS NIMMST DU AN INSPIRATION AUS DEM ÜBERTHEMA "IDENTITÄT UND ERBE" MIT? WELCHE INTERDISZIPLINÄREN FORSCHUNGSANSÄTZE BEEINFLUSSEN DICH? MTR In der Alltagskritik am Tourismus werden beide Begriffe häufig als gesetzt behandelt und etwas diffus synonym mit anderen Begriffen wie Authentizität und Ort diskutiert. Dieser Diskurs greift dabei auf altbekannte und teilweise sehr kontroverse Erklärungsmuster aus der Wissenschaft zurück. Damit sind Grenzen in Bezug auf diese beiden Begriffe in einem interdisziplinären Kontext gezeichnet worden, die in ihrer jeweiligen Fachrichtung zwar sehr unterschiedlich, jedoch oft deterministisch oder essentialistisch argumentiert worden sind. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Begriffspaar „Identität“ und „Erbe“ am Kolleg und die Neugierde dafür wer, wann und wieso ihn einsetzt treiben auch meine Arbeit. OT Die Arbeitsbegriffe von „Identität“ und „Erbe“ erfordern ebenso wie die Interdisziplinarität des Kollegs eine fortlaufende Reflexion über die eigenen Ansätze und Positionen. Die unterschiedlichen Zugänge zum Überthema stellen vermeintliche Sicherheiten infrage, war zwar anstrengend ist, letztlich aber für einen fruchtbaren Diskurs sorgt. Intersubjektivität und methodische Vielfalt ergänzen sich im Kolleg, wobei die eigene fachliche Prägung dennoch erhalten bleibt. Als Kunsthistoriker genieße ich im Hinblick auf meine eigene Forschung die Zusammenarbeit mit Architekten und Urbanisten – nicht allein im Kolleg, sondern beispielsweise auch in der Lehre. Meine Forschung behandelt dabei vor allem die Interdependenz zwischen dem immateriellen Kulturerbe Weimars und der materiell wiederum sehr fassbaren Stadtentwicklung.
2 AKTUELL UND RELEVANT WELCHE AKTUELLEN DEBATTEN SPIEGELN SICH IN DEINEM THEMA WIDER?
MTR
Aktuell gibt es zwar ein verstärktes wissenschaftliches Interesse am Begriff Overtourism, medial wird dieser aber vor allem durch zivile Protestbewegungen in Städten gebraucht. Daraus folgt eine zunehmende Beschäftigung mit der Konflikttheorie im Bereich der „tourism studies“ und „urban studies“, auch wenn sie nicht völlig neu ist. Durch die Repräsentation und Vernetzung von zivilen Gruppen und Aktivist*innen auf internationaler Ebene, ist es jedoch empirisch möglich sich mit solchen Protestbewegungen neu zu beschäftigen. Interessanterweise folgt diese Vernetzung der Globalisierung von Unternehmen, die im Stadtraum agieren wie Airbnb oder Lime. Meine Arbeit fokussiert sich diesbezüglich sehr stark am Stadtraum, der einen politischen Konfliktherd darstellt – z.B. in Form der Bodenpolitik aber auch als gesellschaftliche Projektionsfläche für nicht so einfach zu fassende Konzepte wie Öffentlichkeit, Teilhabe oder Geschichte. OT
In meiner Arbeit beschäftige ich mich mit der ideologischen Aufladung von Architektur und Städtebau. Themen wie die Gemachtheit von Altstadt, die Konstruktion traditionalisierender Stadtbilder oder das historisierende Bauen sind keineswegs rein historische Phänomene, sondern gleichermaßen hochaktuelle Felder im gegenwärtigen Architekturdiskurs. Trotz dieser unmittelbaren Relevanz gibt es in der Architekturgeschichte noch immer vereinfachende Narrative und Deutungsmuster. Damals wie heute gestaltet sich die ideologische Instrumentalisierung von Architektur und der Zugriff auf Erbe allerdings sehr komplex und entzieht sich einer einfachen Polarisierung wie Heimatschutzarchitektur und Neuem Bauen. Daher glaube ich, mit meiner architekturhistorischen Arbeit auch zu zeitgenössischen Debatten beitragen zu können.
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WISSENSCHAFT IN DER KRISE? WIE GEHST DU MIT EINSCHRÄNKUNGEN INFOLGE DER CORONA-PANDEMIE UM? UND WIE VERÄNDERT SICH DADURCH DEINE FORSCHUNG? MTR Meine Arbeit ist stark von den Einschränkung der Reisefreiheit beeinflusst worden. Fast alle geplanten Feldforschungen haben in diesem Jahr vertagt werden müssen, was meinen Zeitplan durcheinandergeworfen hat. Andererseits orientiere ich mich auch am aktuellen Geschehen und kann reagieren. Folglich muss ich mich der Frage stellen, womit kurzfristig zu rechnen ist und was sich langfristig am Tourismus verändern wird. Die Prekarität der Tourismusindustrie wurde im Zusammenhang mit Terrorismus, Krieg und ökomischen Krisen häufig diskutiert und kritisiert, dennoch wächst die Reisetätigkeit seit dem 20.Jh. stetig an. Es ist auch verblüffend, dass sich Diskurse von Overtourism und Covid verschränken und ähneln. Die Tourismusforschung und -kritik hat z.B. in den 70er Jahren auf Modellrechnungen und -kurven von Wachstumsgrenzen verwiesen, auf die in ähnlicher Form in den letzten Monaten rekurriert wurde. OT Abgesehen von der erschwerten Arbeit in Bibliotheken und Archiven, fehlt mir persönlich besonders der unmittelbare Dialog miteinander. Onlineformate können den Diskurs erstaunlich transformieren, aber keinesfalls Präsenzveranstaltungen ersetzen. Wissenschaft lebt einfach zu sehr vom direkten Gespräch und dem lebhaften Austausch von Argumenten. Aber ich glaube auch an positive Effekte: Im Zuge des ersten Lockdowns konnte ich zahlreiche Bücher lesen, zu deren Lektüre ich sonst nie gekommen wäre. Außerdem erwarte ich, dass die Fortschritte in der Digitalisierung bestehen bleiben: Beispielsweise hat sich bei vielen Publikationsportalen die Online-Verfügbarkeit verbessert, womit der unkomplizierte Zugang zu Wissen gestärkt wurde.
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