RINGVORLESUNG AM 7. MAI 2024, 18.30 UHR (BERLIN)

ALIA MOSSALLAM: WEGE DES ERZÄHLENS. DIE GESCHICHTSSCHREIBUNG DES ASSUAN-STAUDAMMS (1960-1970) ALS EINE ERZÄHLUNG INEINANDER VERWOBENER GESCHICHTEN. (ENG)

Der Assuan-Hochdamm ist ein Symbol und Monument der Revolution von 1952 in Ägypten. Er war ein Produkt der Verstaatlichung des Suezkanals; ein Projekt der Dritte-Welt-Bewegungen, das in Indien, Ghana, Syrien und blockfreien Staaten nachgeahmt wurde und in einem Kontext der Fortsetzung des Krieges gegen den Imperialismus von 1956 zu lesen ist. Die Geschichte des Staudammbaus wurde in Liedern und Radiosendungen, in Arbeiterheften und Fotozeitschriften, in Broschüren der nubischen Gemeinden und in Comics für Kinder immer wieder aufs Neue erzählt. Sie hat die Menschen, dazu aufgerufen, sich für den Staudammbau einzusetzen und die damit verbundenen Zukunftsversprechen entworfen.
In diesem Vortrag versuche ich die Geschichte des Staudammbaus zu erzählen, ohne dabei jene Erzählung zu rekonstruieren, die eine Erzählung der Erzählungen darstellt; eine hegemoniale Ideologie, die alternativlos bleibt; ein Bauwerk, in dem das Wissen der indigenen Bevölkerung von der Gegenwart der hydroelektrischen Wissenschaften überflutet wird.
Stattdessen versuche ich, die Geschichte(n) des Staudamms im Lichte der politischen Interessen, Hoffnungen und Verluste der Arbeiter:innen zu schildern, die ihr Leben für den Bau des Staudamms geopfert haben und berichte von den indigenen (nubischen) Gemeinschaften, die für den Bau des Staudamms verdrängt wurden. Was können uns die Dokumente der Populärkultur über die Brüche in den Überlieferungen von Wissen und der Erzählungen mitteilen? Wie können wir bei der Entwicklung akademischer Historiografien die Strukturen ihrer fließenden Erzählungen und Philosophien der Wissensproduktion berücksichtigen?
In der Geschichte des Assuan-Staudammes treffen verschiedene historische Spuren aufeinander: die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt stoßen auf ein nationalistisches Projekt der Moderne, die Möglichkeiten zu sozialen Veränderungen und die Katastrophe der Vertreibung. Die eine Geschichte kann nicht ohne die andere erzählt werden. Sie wird vielmehr zu einer Geschichte innerhalb einer Geschichte innerhalb einer Geschichte.

Alia Mossallam ist Kulturhistorikerin, Pädagogin und Autorin. Sie interessiert sich für Lieder, die Geschichte erzählen und für Geschichten, die von den Auseinandersetzungen des einfachen Volkes erzählen, die hinter den bekannteren Ereignissen der Weltgeschichte verborgen bleiben. Für ihre Dissertation erforschte sie die Geschichte des nasseristischen Ägyptens anhand von Erfahrungen und Berichten aus dem Widerstand der Bevölkerungen in Port Said (1956) und Suez (1967-1974) sowie den Baus des Assuan-Hochdamms aus den Perspektiven seiner Erbauer und der nubischen Gemeinschaften, die dadurch vertrieben wurden. Als EUME-Stipendiatin 2017-21 der Alexander von Humboldt-Stiftung arbeitete sie an ihrem Buch über die damit verbundenen visuellen und musikalischen Archivierungspraktiken. Ihr aktuelles Projekt als Associate Fellow bei EUME (2021-24), „Tracing Emancipation Under Rubbles of War“, erforscht die physischen und politischen Reisen ägyptischer und nordafrikanischer Arbeiter:innen an den verschiedenen Fronten des Ersten Weltkriegs anhand von Liedern und Memoiren. Einige ihrer forschungsbasierten Artikel, Essays und Kurzgeschichten sind in The Journal of Water History, The History Workshop Journal, der LSE Middle East Paper Series, Ma’azif, Bidayat, Mada Masr, Jadaliyya und 60 Pages zu finden. Als experimentelle Form der Geschichtsarbeit gründete das ortsspezifische Public History-Projekt „Ihky ya Tarikh“. Sie lehrte an der American University in Kairo, der Freien Universität und der Humboldt-Universität in Berlin sowie am Cairo Institute for Liberal Arts.

Vortragsort:
Universitätsbibliothek der TU und UDK Berlin
Fasanenstraße 88
Raum Bib 014

Videokonferenz-Link:
https://tu-berlin.zoom.us/j/61259155472?pwd=UEE2T1RVMllpUmx5MEZwV0g5dWhNdz09
(Zoom-Meeting, gültig für alle Vorlesungen im Sommersemester, Meeting-ID: 612 5915 5472, Kenncode: 352995)

NEUERSCHEINUNG: „DINGE, DIE VERBINDEN“ (BAND V, SCHRIFTENREIHE DES GRK IDENTITÄT UND ERBE)

Im Bauhaus-Universitätsverlag ist zum 15.April 2024 der Band V unserer Schriftenreihe „Interdisziplinäre Forschungen zu Identität und Erbe“ erschienen (205 Seiten, 28.00 €). Ab Januar 2025 steht der Band Open Access in der Universitätsbibliothek Weimar zur Verfügung.

DINGE, DIE VERBINDEN
Wer Erbe- und Identitätskonstruktionen erforscht und sich mit Gegenständen, Orten oder Überlieferungen beschäftigt, stellt Verbindungen zu Dingen in den Fokus, die auf unterschiedliche Weise symbolisch aufgeladen und für verschiedene Gruppen als Erbe relevant werden. Der fünfte Band der Schriftenreihe des Graduiertenkollegs »Identität und Erbe« rückt solche Beziehungen in den Blick, die Dinge und ihre sozialen Kontexte hervorbringen und (de-)stabilisieren. Die materiellen Aspekte von Erbe bekräftigen hierbei häufig Erzählungen über vermeintliche Kontinuitäten, sie können aber auch Triebkräfte für Veränderungen sein. Die Beiträge des Bandes erkunden dieses Spannungsfeld. Dabei geht es zum Beispiel um die Rolle von Affekten, um Fragen danach, wie Dinge in Erbeprozessen instrumentalisiert werden und was überhaupt als ›Substanz‹ verstanden werden kann oder um den Umgang mit materiellen ›Hinterlassenschaften‹. Was genau sind also Dinge, Gegenstände oder Objekte – und welche Bedeutungen nehmen sie in Erbepraktiken ein?

Herausgegeben von AYŞEGÜL DINÇÇAĞ KAHVECI, MARIAM GEGIDZE, PABLO SANTACANA LÓPEZ, JANNA VOGL

Mit Beiträgen von ÁINE RYAN, AYŞEGÜL DINÇÇAĞ KAHVECI, ZOYA MASOUD, SVENJA HÖNIG, MARCELL HAJDU, JULIANE RICHTER, ELLEN PUPETER, WOLFRAM HÖHNE, MICHAEL MARKERT, LARISSA FÖRSTER, DARJA JESSE, MICHAEL KARPF, KATHARINA ROTTÉ, ORTRUN BARGHOLZ, HENRI HOOR, OLIVER TREPTE, JAN ENGELKE, HANS PETER HAHN 

DFG-Graduiertenkolleg 2227 »Identität und Erbe«
 
Bauhaus-Universität Weimar
Fakultät Architektur und Urbanistik
 
Wissenschaftliche Koordination:
Dr. Wolfram Höhne
99423 Weimar, Marienstr. 9 (Raum 105)
Tel. +49 (0) 3643 - 583139
wolfram.hoehne@uni-weimar.de
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