RINGVORLESUNG AM 30. JANUAR 2024, 18:30 UHR (BERLIN)
JANNA VOGL: AUSGANGSPUNKTE EINER UNGLEICHHEITSSENSIBLEN GEDÄCHTNISTHEORIE
Wie können Theorien des Gedächtnisses mit Aspekten sozialer Ungleichheit zusammen gedacht werden? Schon Halbwachs versuchte, seine bekannten Studien zum kollektivem Gedächtnis mit der Klassengesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusammen zu bringen. Er sah in der damals sich verfestigenden Arbeiterklasse eine Gruppe, die durch ihre Arbeit gezwungen war, eine gesellschaftlich fabulierte Kontrolle von „Materie“ auf eine Weise zu realisieren (repetitiv, fremdbestimmt), die sie vom Gefühl der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben isolierte. Halbwachs nahm an, dass sich gesellschaftlich höher gestellte Gruppen durch die erinnernde Vergegenwärtigung kollektiver Vorstellungen und deren „Materialisierungen“ immer wieder ihres Standes versichern können, während für gesellschaftlich niedriger gestellte Gruppen solche Rahmen für ein ‚geteiltes‘ Erinnern weniger und anders strukturiert vorhanden seien. Halbwachs Überlegungen müssen heute, ein Jahrhundert später, überdacht werden. Interessant ist aber, dass er versuchte, ungleiche Dynamiken in gesellschaftlich strukturierten Formen des Erinnerns und Vergessens zu verstehen, und den Blick darauf lenkte, wie sich solche Formen in Körper, Lebensweisen, Raum und „Materie“ einschreiben. Diese Spur greife ich im Vortrag auf: Welche – verstreut liegenden – Ansätze finden sich als Ausgangspunkte für eine ungleichheitssensible Gedächtnistheorie? |