EINBLICKE IN DIE ARBEIT DES GRADUIERTENKOLLEGS
Seit Oktober 2022 forscht eine neue Gruppe von Doktorand:innen an unserem Graduiertenkolleg. In diesem Newsletter stellen wir Nicola Groß (NG) und Nadja Bournonville (NB) vor:
Wie verorten Sie Ihr Thema innerhalb der Forschungsschwerpunkte des Graduiertenkollegs?
NG: In meiner Dissertation beschäftige ich mich mit Restitutionsprozessen des samischen Kulturerbes in Finnland, Schweden und Norwegen. Der Fokus meiner Arbeit liegt auf der historischen Dimension von Restitution als Erbepraxis und auf der Genese dieser Prozesse in den nordischen Ländern (Ablauf, wissenschaftliche Zusammenarbeit, kulturpolitische Methodik, Kulturtechnik, Dynamiken), sowie auf den Auswirkungen, die sie auf die Museumsbestände in Deutschland haben. Restitutionsprozesse spiegeln Machtasymmetrien und Deutungshoheiten wider, die durch (inner)koloniale Strukturen und Konflikte entstanden sind, zeugen aber auch in Ansätzen von Strategien der „Widergutmachung“. Mich interessiert, wie innerhalb dieser Zusammenarbeit zwischen Sámi communities, ihrer Museen und Verwaltungen sowie den restituierenden Museen der Besitz von Kulturerbe museal, gesellschaftlich, politisch, kulturell und völkerrechtlich ausgehandelt wird und was nach der Rückgabe in Bezug auf kulturelle und identitätsstiftende Wissensproduktion und Wissenstradierung passiert. Im Sinne des Graduiertenkollegs setze ich mich kritisch, interdisziplinär und kulturtheoretisch mit den Bedingungen, instabilen und konflikthaften Beziehungen, Auswirkungen und Unsicherheiten dieser Aneignungs- und Rückführungsvorgänge von Kulturerbe auseinander.
NB: Naturkundemuseen werden von Menschen unabhängig ihrer sozialen Herkunft, ihres Geschlechts und Alters besucht. Über Generationen hinweg vermitteln sie Geschichten und Wissen und erklären die Forschung, die unser Verständnis von und unseren Zugang zur Natur beeinflusst. Die Schausammlungen sind in einem Wechselspiel zwischen Unterhaltung und Wissenschaft, Bildung und Freizeitgestaltung verankert. Das Narrativ, was hier erzählt wird, ist überwiegend Teil einer westlichen und europäischen Perspektive. Doch die Tiere, die hier präsentiert werden, sprechen nicht ausschließlich über Taxonomie und Artenvielfalt, sondern tragen Geschichten und Fragen über ihre Provenienz, den Akt des Sammelns, die Materialität und Zukunft der Sammlungen in sich. Sie sind Teil unseres komplizierten kulturellen Erbes, welches diskutiert werden muss. Die Präparate sind Teil von Erzählungen, die derzeit wieder erforscht und umgeschrieben werden. Aspekte von Politik, Machtstrukturen, Kolonialismus, alternativen Vermittlungsmöglichkeiten und Zukunftsvisionen gewinnen zunehmend Platz in den Museen. Diesen Zustand des Umbruchs möchte ich durch die Fragestellungen und Perspektiven unseren Kollegs beobachten.
Welche Aspekte des Museums als Institution sind für Ihre Forschung relevant?
NG: Museen sind als zumeist öffentlich finanzierte Bildungseinrichtungen an die kulturellen und politischen Entscheidungen ihrer Trägerschaft gebunden und abhängig von den jeweiligen staatlichen Etats und Ressourcen. Sie sind aber auch maßgeblich in gesellschaftspolitische Bewegungen involviert und stehen im Zentrum von aktuellen Debatten rund um den Umgang mit Kulturerbe. Im Hinblick auf ihre ethnologischen Sammlungsbestände werden sie mit Fragen zur Herkunft ihrer Sammlungen und Legitimität ihres Besitzes konfrontiert. Neben den klassischen Aufgaben des Sammelns, Bewahrens, Forschens und Ausstellens sind die Beforschung und Transparenz der eigenen Bestände und Depots sowie Restitution als Form der musealen Dekolonisierung als weitere dringliche Komponenten hinzugekommen. Es ist sehr spannend zu verfolgen, inwiefern innerhalb dieser Restitutionsprozessen Handlungsräume und Möglichkeiten der wissenschaftlichen Zusammenarbeit entstehen. Sámi-Museen sind hingegen vergleichsweise junge Institutionen der Sámi als indigene Minoritäten in Nordeuropa, in denen das eigene samische (restituierte) Kulturerbe ausgestellt und der unmittelbare Zugang in ihrer Heimat ermöglicht wird. Diese Museen scheinen die kulturelle Selbstbestimmung und damit auch das samische Selbstbild zu fördern und stellen gewissermaßen einen Gegenentwurf zur europäischen Museumspolitik dar.
NB: Naturhistorische Museen sind faszinierend, weil sie nicht nur aus Dauer- und Sonderausstellungen bestehen, sondern aus riesigen Sammlungen, in denen aktiv geforscht wird. Mich interessiert, wie diese Forschung einen prägenden, motivierenden Einfluss und eine tragende Rolle in den Schausammlungen spielen kann. Während die Gründungsphase vieler Museen (z.B. im London und Wien) war Sammlung und Forschung sowie die öffentliche Vermittlung durch die Schausammlungen stark verwoben. Zurzeit gleitet diese Teilung in einigen Museen auseinander. Wegen Platzmangel werden die Sammlungen verlegt und die Forschung findet teilweise woanders statt. Die Sammlungen sind dadurch vermehrt kaum zugänglich und bleiben einmal mehr den Besuchern verborgen. Wie dieser Balanceakt zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit innerhalb des Museums zustande kommt, beschäftigt mich sehr. Ebenso sind Materialität, Fragilität, Geschichte und die vielschichtigen Zeitebenen, die im Museum und in den einzelnen Tierpräparaten existieren, Teil meiner Recherche. Viele Sammlungen sind sehr alt; manche Tiere stehen schon seit über hundert Jahren in ihren Vitrinen, aber wie lange stehen sie noch dort? Mich interessiert, wie derzeit in den Museen mit den älteren Sammlungen umgegangen wird, um Platz für erweiterte Erzählungen und zeitgenössische Fragen zu schaffen.
Welche Informationen und Einblicke erhoffen Sie sich durch Ihre Forschungsreisen in diesem ersten Jahr im Graduiertenkolleg zu gewinnen?
NG: In Finnland und Norwegen möchte ich mir vor allem ein Bild von den institutionellen Strukturen und Verwaltungen der Sámi und ihrer Museen machen und im besten Fall restituiertes Kulturerbe besichtigen und mit Involvierten von Restitutionsprozessen sprechen. In Finnland werde ich die Forschungsreise in Helsinki beginnen und dort in der Finnish Heritage Agency, in der Nationalbibliothek, im Nationalmuseum, im Nationalarchiv von Finnland und an der Universität Helsinki die wissenschaftliche und kulturpolitische Auseinandersetzung mit diesen Themen verfolgen. Auch lokale kleinere Bibliotheken können Auskunft darüber geben, wie Restitutionen in Finnland und Norwegen verhandelt und öffentlichkeitswirksam begleitet wurden. In Inari werde ich das Siida Sámi Museum, das Sámi Cultural Centre Sajos sowie das Sámi Festival Ijahis Idja besuchen. In Norwegen sollen Besichtigungen im Varanger Sami Museum in Troms og Finnmark und dem Sámi Museum sowie dem Sameting, dem Sámi Parlament, in Karasjok erfolgen. Es wird generell sehr spannend sein, mich selbst in einem Teilgebiet von Sápmi in Lappland aufzuhalten und mich dem samischen Kulturerbe anzunähern, was wesentlich in ihrer Umwelt, der Natur und den traditionellen Lebensweisen wie der Rentierzucht verhaftet ist.
NB: Im April und Mai hatte ich die Möglichkeit acht sehr unterschiedliche naturhistorische Museen in Europa zu besuchen und mit MitarbeiterInnen, PräparatorInnen und SammlungsleiterInnen zu sprechen: Das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt, Naturalis in Leiden, Königliches Belgisches Institut für Naturwissenschaften in Brüssel, Muséum national d’histoire Naturelle in Paris, Natural History Museum in London, Naturhistorisk Museum in Oslo, Göteborgs Naturhistoriska Museum und das Museum für Naturkunde in Berlin. Ohne ein solche Reise wäre es für mich unmöglich gewesen über diese Orte zu schreiben, denn diese physische Begegnung macht erst die Auseinandersetzung mit den Schausammlungen möglich. Gleichzeitig hatte ich durch meine Treffen Zugang zu den Depots und Magazinen. Die vielen digitalen Museumsrundgänge, die angeboten werden, können meines Erachtens nicht den physischen Besuch ersetzen. Die Räumlichkeiten, Lichtverhältnisse, der Geruch, die Displays und Präsentationen sowie der Lärmpegel der vielen Schulklassen, oder genau das Fehlen dieser und die dadurch entstehende Stille, können kaum digital vermittelt werden. Auch die körperliche Erschöpfung nach Stunden der Beschäftigung mit Vitrinen, Dioramen und Ausstellungstexten, ist schwer greifbar ohne einen physischen Besuch. Ebenso wie das Staunen und die Neugierde, die hoffentlich im Museum geweckt werden können. |