Ringvorlesung am 7. Juni 2022 in Berlin |
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ANDRIJANA IVANDA & TOBIAS HÖNIG (C/O NOW, BERLIN):
(EX-)YU – RÄUME UND ARCHITEKTUREN ALS TRÄGER NATIONALER ERZÄHLUNGEN
Mitte der 1990er Jahre, mitten im brutalen Zerfallsprozess Jugoslawiens, stand Slavoj Žižek im Zentrum Ljubljanas auf der Šentjakob-Brücke über dem Flüsschen Ljubljanica und sprach mit finsterer Schockantizipation in die Kamera eines Filmteams: „Okay! Was wir hier jetzt sehen, ist – zumindest im Sommer oder im Herbst – eine der schönsten Ansichten von Ljubljana. Es sieht aus wie in Paris. Grüne Blätter etc., schöne alte Häuser an beiden Ufern. Nichts Besonderes. Aber da irren Sie sich! Dieser Fluss hier ist die offizielle, geografische Grenze zwischen dem Balkan und Mitteleuropa. Also Vorsicht! Dort drüben: Horror, orientalischer Despotismus, Frauen werden geschlagen und vergewaltigt und mögen es. Auf dieser Seite: Europa, Zivilisation, Frauen werden geschlagen und vergewaltigt und mögen es nicht. Also: Balkan – Mitteleuropa. Nicht vergessen!“ (c/o now in: ARCH+ 2019 (235), S. 90)
Die Auseinandersetzungen mit Städtebau und Architektur des zweiten Jugoslawiens und damit mit den kulturellen, sozialen und ökonomischen Produktionsbedingungen einer spezifischen Spielart der Moderne in diesen Disziplinen, die so ihresgleichen sucht, ist ein ständig wiederkehrender Begleiter der Arbeit von c/o now. Wiederholt hat c/o now dabei auch den Versuch unternommen (post-)jugoslawische Räume betont vor dem Hintergrund ihrer kolonialen Geschichte zu lesen. Der Nationalismus war dabei das Herrschaftsinstrument, um diese Territorien zu kontrollieren und schließlich auch der Spaltkeil mit dem das Zweite Jugoslawien, als Versuch dessen Ideologien zu überwinden, auseinandergetrieben wurde. Im Rahmen des Vortrages werden c/o now verschiedene räumliche und architektonische Phänomene in (Ex-)Jugoslawien vorstellen, den Versuch unternehmen sie vor dem Hintergrund mit ihnen von außen wie innen verbundener nationaler Mythen und historischer Fakten lesbar zu machen, um sie in die europäische Gegenwart einordnen zu können.
c/o now ist ein in Berlin gegründetes und tätiges Architekturbüro, das sich an kollektiven Praxen orientiert. Neben der Tätigkeit als planende und bauende Architekt:innen, beschäftigen sich Tobias Hönig, Andrijana Ivanda, Markus Rampl, Paul Reinhardt, Duy An Tran, und Ksenija Zdešar auch mit kritischen Reflexionen der Disziplin, in der sie arbeiten. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzungen wurden wiederholt publiziert, u.a. auch in der von c/o now mitherausgegebenen Publikation „Bayern, München. 100 Jahre Freistaat. Eine Raumverfälschung“ (herausgegeben von Stephan Trüby, Verena Hartbaum, University of Looking Good, c/o now, Wilhelm Fink Verlag 2019). Darüber hinaus ist c/o now fortlaufend in die Lehre an Hochschulen eingebunden wie derzeit mit einer Gastprofessur an der Kunstuniversität in Linz.
Der Vortrag kann per Livestream verfolgt werden unter dem Link:
https://tu-berlin.zoom.us/j/69181277058?pwd=aVhXR0QzSGhnRTZTYlRNS3pVYXVvQT09 |
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Neuerscheinung „Instabile Konstruktionen" |
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Simone Bogner, Gabi Dolff-Bonekämper, Hans-Rudolf Meier (Hg.)
Interdisziplinäre Forschungen zu Identität und Erbe, Schriftenreihe des DFG-Graduiertenkollegs 2227, Band II |
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Wer von Erbe im Zusammenhang mit Identität spricht, verspricht sich und Anderen »Kontinuität« und »Stabilität«. Das Versprechen hält indes nur so lange, wie sich Menschen auf die damit verbundenen Erzählungen einlassen. Da diese zunehmend hinterfragt werden und der Begriff »Identität« im politischen Raum zu einer umkämpften Kategorie avanciert ist, werden auch die lange gehegten, gewohnten »Konstruktionen« instabil. Dies zeigt sich insbesondere in Momenten des Konflikts, der übergriffigen Inanspruchnahme und des Verlusts. Der Titel »Instabile Konstruktionen« verweist zugleich auf die beiden Kernbereiche des Kollegs: einerseits auf Architektur und Denkmalpflege, in denen der Begriff »Konstruktion« sich auf bauliche Manifestationen bezieht, von denen eine gewisse Haltbarkeit und Dauerhaftigkeit erwartet wird, und andererseits auf die Kultur- und Sozialwissenschaften, wo Konstruktion die soziale Herstellung symbolischer Sinnwelten meint. Ins Zentrum rückt so der Anspruch, die materielle Umwelt im Wechselverhältnis zu ihrer sozialen Gemachtheit zu verstehen.
Diesen Dimensionen von Identität und Kulturerbe gehen die Autor:innen in den hier versammelten Beiträgen nach. Die Aufsätze schlagen Brücken zwischen materiellen Manifestationen, sozialen Identitäts-Konfigurationen und Erbe-Narrativen und zeigen auf, wie eng diese Aspekte miteinander verflochten sind.
MIT BEITRÄGEN VON SIMONE BOGNER, GABI DOLFF-BONEKÄMPER, HANS-RUDOLF MEIER, MARK ESCHERICH, OXANA GOURINOVITCH, JOCHEN KIBEL, CLAUDIA BA, GEORG KRAJEWSKY, GÜLŞAH STAPEL, ZOYA MASOUD, MARIA FRÖLICH-KULIK, SARAH ALBERTI, WOLFRAM HÖHNE, KONSTANTIN WÄCHTER, LUISE HELAS, BIANKA TRÖTSCHEL-DANIELS, BENJAMIN HÄGER, LISA MARIE SELITZ, LAURA TORREITER
Das Buch (264 Seiten, ISBN:978-3-95773-301-6) kann ab sofort im Bauhaus-Universitätsverlag bestellt werden: https://asw-verlage.de/katalog/instabile_konstruktionen-2476.html |
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DFG-Graduiertenkolleg 2227 »Identität und Erbe«
Bauhaus-Universität Weimar Fakultät Architektur und Urbanistik
Wissenschaftliche Koordination:
Dr. Wolfram Höhne
99423 Weimar, Marienstr. 9 (Raum 105)
Tel. +49 (0) 3643 - 583139
wolfram.hoehne@uni-weimar.de |
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