In den letzten Jahren ist die Debatte über die Dekolonialisierung in Belgien aufgelebt. Die Auslöser dafür waren die Infragestellungen mehrerer Denkmäler, die in belgischen Städten an die Kolonialzeit erinnerten, die lange erwartete Wiedereröffnung des Africa Museums Tervuren im Dezember 2018 und die international geführte Debatte um Restitutionen. Nachdem ich über zwei Jahrzehnte hinweg zur Architektur und Städtebaugeschichte Zentralafrikas geforscht habe, widme ich mich in diesem Vortrag der Position des Architekturhistorikers in diesen Debatten. In Übereinstimmung mit Zeynep Çelik sowie Anthony D. King plädiere ich dafür, das Studium der kolonialen Architektur und Stadtplanung als ein mächtiges Instrument zu begreifen, das die Komplexität und Verflechtung kolonialistischer Politiken und Praktiken vor Augen führen kann. Anstelle der Idee des „shared heritage“ („geteiltes Erbe“, ICOMOS) plädiere ich dafür, die unbequeme Frage „whose heritage“ („Wessen Erbe?“) zu stellen. Ich zeichne meine Beteiligung als Architekturhistoriker an Projekten zum baulichen Erbe in der DR Kongo und an zwei Kunstbiennalen in Lubumbashi nach, um zu zeigen, was eine tiefgreifende historische Analyse der baulichen Umgebungen leisten kann, die sich den schwer durchschaubaren Aspekten der kolonialen (Bebauungs)geschichte zuwendet. Zudem setze ich mich dafür ein, die Grenzen der akademischen Welt zu verlassen und eine Wiederaneignung unserer wissenschaftlichen Arbeit durch lokale Akteure zu ermöglichen, die ihre eigenen Geschichten über die koloniale Vergangenheit des Kongo zu erzählen haben.
Johan Lagae ist Professor für das Lehrgebiet der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts mit außereuropäischem Schwerpunkt an der Universität Gent. 2007 war er Gastwissenschaftler am Institut National d’Histoire de l’Art in Paris und erhielt ein Fellowship des Paris Institut des Etudes Avancées. Seine Dissertation widmete er der Architekturgeschichte der ehemals belgischen Kolonie Kongo sowie der Architektur- und Städtebaugeschichte Zentralafrikas. Er ist Mitherausgeber von zwei Büchern über die Standlandschaften Kinshasas und kuratierte mehrere Ausstellung zu Kongo wie: „Le mémoire du Congo. Le temps colonial“ (2005), „Congo belge en images“ (2010), and more recently „A chacun sa maison. Housing in the Belgian Congo 1945-1960 (2018)“. Von 2010 bis 2014 war er Mitglied in der Leitung des EU-Forschungsprojekts „European Architecture beyond Europe“ (COST-action IS0904). Er ist Mitherausgeber des ABE-Journal zur außereuropäischen Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts. |