RINGVORLESUNGSREIHE „IDENTITÄT UND ERBE“ |
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Dienstag, 6.Juli.2021 | 18.30 Uhr Oliver Sukrow (Wien): Alternative Innovationsräume. Kurorte als Architekturen und Landschaften der Gesundheit Die globale Covid-Pandemie hat das Interesse an der Gestaltung von Orten der Genesung und Heilung erneut verstärkt. Dem Städtebau der klassischen Moderne wird dabei mit dem Verweis auf die Trias von „Licht, Luft, Sonne“ eine zentrale Vorbildfunktion zugeschrieben. Jedoch gibt es darüber hinaus noch andere, frühere Quellen für die gezielte Herausbildung von Architekturen und Landschaften der Gesundheit. Der Vortrag wird hier ansetzen und die Vor-Geschichten der Gesundheitsräume der Moderne in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen und anhand verschiedener, für Kurorte spezifischer Bauaufgaben, die Wechselwirkungen von Architektur und Medizin thematisieren. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung wird die Rolle von Architektur und Landschaftsgestaltung bei der Schaffung von Erfahrungsräumen an den Schnittstellen von Natur und Technik stehen.
Dr. Oliver Sukrow (*1985) ist Projektassistent (PostDoc) im FWF-Drittmittelprojekt „Transnationaler Schulbau: Österreich, Slowenien, DDR“ am Forschungsbereich Kunstgeschichte der TU Wien und derzeit Fellow der Wüstenrot Stiftung. Er studierte 2005-2011 Kunstgeschichte und Baltistik in Greifswald, Salzburg und Colchester. Von 2012-2016 war er Doktorand am Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg und von 2014-2016 Baden-Württemberg-Stipendiat am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München. 2016-2020 war er Universitätsassistent am Forschungsbereich Kunstgeschichte der TU Wien. 2018 erschien seine Doktorarbeit unter dem Titel „Arbeit. Wohnen. Computer – Zur Utopie in der bildenden Kunst und Architektur der DDR in den 1960er Jahren“ bei Heidelberg University Press und im gleichen Jahr der von ihm herausgegebene Sammelband „Zwischen Sputnik und Ölkrise. Kybernetik in Architektur, Planung und Design“ bei DOM Publishers, Berlin. Sein Habilitationsprojekt beschäftigt sich mit Kurorten im 19. und 20. Jahrhundert als alternativen Innovationsräumen, wobei insbesondere das Verhältnis von Architektur, Landschaft und Medizin im Blickpunkt stehen. Dieses Vorhaben wird gefördert vom Botstiber Institute for Austrian-American Studies.
Um online an der Vorlesungsreihe teilzunehmen, senden Sie bitte eine Email an: anmeldung@identitaet-und-erbe.org. Sie erhalten dann den Zugangslink zur Videokonferenz (Plattform Zoom), unter dem Sie alle Ringvorlesungen des Sommersemesters verfolgen können. Zudem können im Audio-Archiv des Graduiertenkollegs viele Vorträge der seit 2016 stattfindenden Reihe nachgehört werden.
Ankündigung: Im letzten Vortrag der Ringvorlesung des Sommersemesters haben wir am 13. Juli Arnold Bartetzky (Leipzig) zu Gast. Sein Vortrag widmet sich dem Thema: Erbe ohne Erben. Baudenkmäler nach Zwangsmigrationen zwischen Zerstörung, Verdrängung und Aneignung
Ausführliche Informationen unter: https://www.identitaet-und-erbe.org/category/veranstaltungen/semestertermine/ |
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DIE KOLLEGIAT*INNEN STELLEN SICH VOR
Seit dem vergangenen Jahr stellen wir in diesem Format die Doktorand*innen des Kollegs vor. Diesmal geben die assoziierten Kollegiat*innen Elisaveta Dvorakk (Berlin) und Georg Krajewsky (Darmstadt) einen persönlichen Einblick in ihre Arbeiten und berichten von ihren Forschungen im Spannungsfeld von „Identität und Erbe“. |
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ELISAVETA DVORAKK (BERLIN)
ERKENNTNISINTERESSE(N): WORAUS HAT SICH DEIN PROMOTIONSTHEMA ENTWICKELT? Mein Promotionsthema entwickelte sich aus einem großen Interesse am Medium der Fotografie und an kritischen Theorien. Ich studierte zunächst Kunst- und Bildgeschichte, Gender Studies und Evangelische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Über einzelne Lehrveranstaltungen an der Universität der Künste Berlin kam es zu einem prägenden Studienaufenthalt an der Universität Zürich, bei dem ich mich neben Kunst- und Kirchengeschichte insbesondere mit der Theorie und Geschichte der Fotografie auseinandersetzte. Aus einer Beschäftigung mit künstlerischen Reisebildern und postkolonialen, gender-/ queeren Theorien resultierte mein Interesse am fotografischen Nachlass von Annemarie Schwarzenbach (1908-1942), den ich 2013 erstmalig im Schweizerischen Literaturarchiv sichtete. In Berlin verfasste ich die Bachelorabschlussarbeit „Annemarie Schwarzenbachs Reisefotografie in Afghanistan 1939/40: Ambige Bildberichterstattung und visuelle Orientalismusdiskurse“. Anschließend absolvierte ich ein Masterstudium in Kunstgeschichte im globalen Kontext mit Schwerpunkt Europa und Amerika an der Freien Universität Berlin. Studien- und Forschungsaufenthalte in Kunstgeschichte und Afrikawissenschaften führten mich an die Universität Wien sowie nach New York und Princeton. In der Masterabschlussarbeit setzte ich mich mit der Sammlung Hashem el Madani in der Arab Image Foundation, Beirut sowie Subjektformation und Agency im visuellen Diskurs der Dekolonisierung auseinander.
INSPIRATION: WAS NIMMST DU AN INSPIRATION AUS DEM ÜBERTHEMA „IDENTITÄT UND ERBE“ MIT? In meiner Dissertation befasse ich mich mit der Kritik an der Essentialisierung der Kategorie ‚Nation’ in den visuellen Diskursen der 1930er Jahre in der illustrierten Presse in der Schweiz, den USA und der UdSSR. Schwarzenbachs Bildkonvolute aus ihren Reisen in Skandinavien und dem Baltikum 1937 und 1938 bilden ein Teil ihres Werkes, das aufgrund seiner hohen Politisierung – eines ‚vorbelasteten Erbes’ – bis heute nicht rezipiert blieb. Ausgehend von der Analyse von Schwarzenbachs Bildberichterstattung 1937/38 kritisiere ich Essentialisierung als einen gewaltvollen Prozess der Zuschreibung von als ‚natürlich’ und ‚wesenhaft’ geltenden Merkmalen an Mitglieder einer spezifischen Gruppe – hier insbesondere der ‚Nation’. Das essentialistische Denken geht davon aus, dass es beispielsweise für jede Nation spezifische Attribute gibt, die für ihre vermeintliche ‚Identität’ notwendig sind. Das Konzept der ‚Identität’ birgt eine Gefahr von (epistemischer) Gewalt, da es mit radikalen Ein- und Ausschlussmechanismen operiert, um homogene Einheiten zu konstruieren. Durch Schwarzenbachs Fotografien blicke ich auf die jeweiligen nationalen Bildpolitiken im wirkmächtigen Medium der illustrierten Zeitschrift, um in Bezug auf nationalstaatliche (Bild-) Konzepte sowohl legitimierende als auch widerständige Diskurse aufzudecken. Dabei stehen Ästhetiken der Dokumentarfotografie im Fokus, da sie vielfältige fotografische und politische Referenzen ermöglichen und für die Formierung des Bildes einer ‚Nation’ aktiv instrumentalisiert wurden und werden.
AKTUELL UND RELEVANT: WELCHE AKTUELLEN DEBATTEN SPIEGELN SICH IN DEINEM THEMA WIDER? Sowohl identitäts- als auch nationalismuskritische Debatten stehen im Mittelpunkt meiner Dissertation. Angesichts der aktuell in Deutschland und weltweit erstarkenden (neuen) Nationalismen, des Antisemitismus sowie der Homo- und Transphobie finde ich die Untersuchung der medialen, nationalstaatlich verankerten Bildpolitiken und ihrer widerständigen Potenziale besonders wichtig. Die illustrierte Zeitschrift ist in ihrer diskursiven Bedeutung, dem Vervielfältigungs- und Verbreitungsgrad 1937/38 mit zeitgenössischen text-/bildbasierten Medien wie Instagram, TikTok oder Telegram vergleichbar. Die Bilder reproduzieren Diskurse um ‚Geschlecht’, ‚Sexualität’, ‚Nation’, ‚Kultur‘, ‚Ethnie’, ‚Race’ und gestalten sie gleichzeitig aktiv mit. Eine diskursanalytische Herangehensweise an Schwarzenbachs journalistische Reisefotografie der 1930er Jahre erlaubt einen kritischen Erkenntnisgewinn auch für heute. Zudem ermöglicht meine Arbeit eine zeit- und kontextspezifische Neukonzeptualisierung von politischem Widerstand und Handlungsfähigkeit im Medium der Illustrierten. |
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GEORG KRAJEWSKY (DARMSTADT)
ERKENNTNISINTERESSE(N): WORAUS HAT SICH DEIN PROMOTIONSTHEMA ENTWICKELT? Ich habe an der TU Berlin Soziologie mit einem technikwissenschaftlichen Schwerpunkt studiert und dabei die Stadt als Untersuchungsgegenstand für mich entdeckt. Berlin war für mich nicht nur ein Studienort, sondern als Großstadt ein vielfältiger und prägender Erfahrungsraum. Hier ließen sich gesellschaftliche Veränderungen ablesen, für die ich mich besonders interessiere. Im Rahmen meines Studiums habe ich mich mit Akteur*innen beschäftigt, die den Anspruch haben, Städte jenseits der kodifizierten Planungsprozesse zu gestalten („Stadt selber machen“). Das hat meinen Blick für Raumkonflikte geschult, die in der Praxis der von mir betrachteten Gruppen zum Ausdruck kommen. Ein solcher Raumkonflikt ist die umstrittene Erinnerung des Kolonialismus im sogenannten „Afrikanischen Viertel“ im Berliner Stadtteil Wedding gewesen, den ich gemeinsam mit zwei Kommiliton*innen untersucht habe. Durch die Umbenennung von Straßen, deren Namen an Kolonialisten erinnerten, forderten verschiedene Organisationen einen kritischen Umgang mit dem Erbe des Kolonialismus ein. Diese Forderung ist noch immer von politischen Konflikten begleitet. In meiner Dissertation schließe ich dran an und untersuche, wie das (post-)koloniale Erbe in einem städtischer Beteiligungsverfahren zur Dekolonisierung Hamburgs ausgehandelt wird.
INSPIRATION: WAS NIMMST DU AN INSPIRATION AUS DEM ÜBERTHEMA „IDENTITÄT UND ERBE“ MIT? Beide Begriffe spielen eine wichtige Rolle für meine Arbeit, auch wenn sie keine zentralen analytischen Kategorien darstellen. Die Annahme einer gemeinsamen Vergangenheit ist aus soziologischer Sicht weiterhin ein wirkungsvoller Grundpfeiler des Zusammenlebens. Es ist wichtig zu betonen, dass ich – und die anderen Mitglieder des Kollegs auch – ein kritisches Verständnis von vergangenheitsbezogenen Identitäten haben. Was als „Erbe“ gilt, wie dieses vergegenwärtigt und weitergegeben wird und um wessen Erbe es sich handelt, ist letztlich eine Folge sozialer Zuschreibungen. Im Falle des kolonialen Erbes ist die Raumdimension besonders interessant. Es ist eine Herausforderung, ein so heterogenes, im wahrsten Sinne des Wortes weltumspannendes und auf Gewalt und Ausbeutung beruhendes historisches Herrschaftssystem, wie den Kolonialismus, angemessen zu erinnern. Konflikte um die Deutung dieser Vergangenheit sind vorprogrammiert. Zudem erkennt die historische Soziologie im Kolonialismus ein konstitutives Moment der europäischen Moderne. Die Erinnerung an des Kolonialismus betrifft das Fundament unserer gesellschaftlichen Existenz und somit uns alle.
AKTUELL UND RELEVANT: WELCHE AKTUELLEN DEBATTEN SPIEGELN SICH IN DEINEM THEMA WIDER? Die Arbeit steht im Kontext der längst überfälligen Debatten um gesellschaftliche Dekolonisierung. Die #BlackLivesMatter-Bewegung hat im vergangenen Jahr für die gegenwärtigen Formen von Rassismus und die Notwendigkeit dessen Überwindung sensibilisiert. Dazu zählt auch eine angemessene Erinnerung des Kolonialismus. Dennoch steht in Frage, ob mit der höheren Aufmerksamkeit für die Herkunft kolonialer Raubkunst, den Restitutionsprozessen oder der Anerkennung des Völkermordes an den Herero und Nama eine neue Phase der Dekolonisierung beginnt. Staatliche Akteure sind hinzugekommen und eine solche Phase wird gerne postuliert. Andere Positionen sind da eher skeptisch. In meiner Arbeit schaue ich mir empirisch an, welche Machtverhältnisse und Deutungshoheiten im städtischen Beteiligungsverfahren bestehen und welche Legitimierungsweisen die Akteur*innen darin vertreten. Besonders prägnant zeichnen sich in der Debatte die nicht-heroischen Formen der Vergangenheitsvergegenwärtigung ab. Der Kolonialismus ist Teil einer von Verbrechen, Unrecht und Gewalt geprägten Vergangenheit. In der Erinnerungsforschung wird die Frage diskutiert, wie eine solche Vergangenheit reflexiv vergegenwärtigt und zu annehmbaren Selbstbildern führen kann. Die Suche nach einer solchen Form des Erinnerns, so meine These, beeinflusst die Rollen- und Machtverteilung im Hamburger Beteiligungsverfahren erheblich. Eine reflexive Erinnerung des Kolonialismus ist deshalb so wichtig, da sie in hochgradig globalisierten und pluralisierten Gesellschaften eine sozial integrierende Wirkung entfalten kann. |
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DFG-Graduiertenkolleg 2227 »Identität und Erbe«
Sitz:
Bauhaus-Universität Weimar Fakultät Architektur und Urbanistik 99423 Weimar, Geschwister-Scholl-Str. 8 (Raum 027)
Tel. +49 (0) 3643 - 583139
Email: wolfram.hoehne@uni-weimar.de |
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